Zunächst eine Verständnisfrage: Was ist der Unterschied zwischen einem digitalen Zwilling und einer modellprädiktiven Regelung bzw. wie hängen beide zusammen? Sebastian Tück: „Ein digitaler Zwilling ist in unserem thematischen Zusammen- hang die mathematische Beschreibung einer Röstmaschine, die für die jeweils gegebenen Eingänge, also die Stellgrö- ßen, die jeweiligen Ausgänge, also die Messgrößen, berechnet und möglichst genau so wiedergibt, wie es die Maschine im realen Prozess tun würde.“ Dennis Pierl: „Wenn man nun einen sol- chen digitalen Zwilling einer sogenann- ten modellprädiktiven Regelung übergibt, dann nutzt diese die mathematische Be- schreibung des realen Systems, um auf Basis dieses Modells in die Zukunft zu rechnen: Sie weiß genau, welches Resul- tat sie infolge einer bestimmten Aktion erhält, und kann somit entscheiden, wel- che Aktion zu einem bestimmten Zeit- punkt die Beste ist, um eine bestimmte Zielgröße zu erreichen.“ Welche Eingangsgrößen sind für das mathematische Modell zur Beschrei- bung des Röstprozesses relevant? Dennis Pierl: „Für den Röstprozess ar- beiten wir mit zwei digitalen Zwillingen. Das ist zum einen der der Röstmaschine selbst. Wesentliche Eingangsgrößen für das mathematische Modell sind hier zum Beispiel das Füllvolumen der Maschine, die Brennerleistung, die Klappenstel- lung und die Gebläsedrehzahl. Auf Basis der Messdaten aus dem realen Prozess rekonstruieren wir dann den digitalen Zwilling, bilden also den Prozess ma- thematisch eins zu eins ab und können ziemlich genau sagen, was zu jedem Zeit- punkt während des Röstprozesses in der Maschine passiert und wie sich die vom digitalen Zwilling prognostizierten Stell- größen auf den Wärmeeintrag in die Boh- ne auswirken.“ Sebastian Tück: „Dazu haben wir aus ei- ner weiteren Eingangsgröße, der Oberflä- chentemperatur der Bohne, einen zweiten digitalen Zwilling für die Kaffeebohnen berechnet und in das mathematische Mo- dell der Röstmaschine integriert.“ Was passiert nun genau, wenn ich diese mathematischen Modelle in die modellprädiktive Steuerung ein- gebe? Dennis Pierl: „Gibt man nun diese mathe- matische Rekonstruktion des Röstpro- zesses in die modellprädiktive Regelung ein, so kann diese aufgrund der Kenntnis der Wirkzusammenhänge im Prozess (ich erreiche Ergebnis B, wenn ich Maßnahme A durchführe) dessen zukünftigen Verlauf vorhersa- gen und durch Berechnung der Stellgrößen auf eine be- stimmte Zielgröße hin opti- mieren. Konkret bedeutet das z.B. im Hinblick auf Energieeinsparung, dass die Steuerung genau weiß, wie die Stellgrößen der Röstmaschine sein müs- sen, um mit möglichst ge- ringem Energieaufwand den identischen Energieeintrag in die Bohne zu erreichen.“ Sebastian Tück: „Der große Vorteil dabei ist, dass wir hierzu eben nicht die Produkttemperatur, sondern den Wärme- eintrag in die Bohne auf Basis der Ober- flächentemperatur zugrunde legen, die während des Röstvorgangs kontinuierlich von Infrarotsensoren gemessen wird. Das bedeutet, dass wir ein Röstprofil einfach auf eine andere Maschine übertragen können, die ebenfalls mit einer modellprä- diktiven Regelung ausgestattet ist, denn diese berechnet, was genau die Maschi- ne tun muss, um zu jedem Zeitpunkt des Röstprozesses exakt den gleichen Wär- meeintrag zu erzielen. Röstsystemspezi- fische Einflüsse werden eliminiert. Und das kann man für jedes Optimierungsziel machen: Wenn ich Geld sparen will und die Energiepreise für Gas oder Strom ken- ne, dann lasse ich diese zusätzlich in das mathematische Modell einfließen. Eine weitere Zielgröße kann die Reduzierung von Stillstandszeiten durch minimierten Wartungsaufwand sein. Auch hier kann die modellprädiktive Regelung auf Ba- sis des digitalen Zwillings die optimalen Stellgrößen exakt vorhersagen, immer vorausgesetzt, dass die relevanten Mess- daten (Ein- und Ausgangsgrößen) vorlie- gen und in ein mathematisches Modell überführt werden können.“ Sprechen wir also über die Zukunft des Röstens? Sebastian Tück: „Im Prinzip ja, denn wir wissen heute nur, was zu einem be- stimmten Zeitpunkt im Röstprozess pas- siert. Sobald der Istwert außerhalb der gewünschten Sollröstkurve liegt, regelt die Steuerung die Eingangsgrößen Tem- peratur und Luftmenge so nach, dass die Sollkurve möglichst schnell wieder erreicht wird, was hinsichtlich des Ener- gieverbrauchs nicht immer optimal ist. Der große Vorteil der modellprädiktiven Regelung liegt aber darin, dass sie „in die Zukunft schauen“ kann. Sie weiß immer genau, welche Stellgrößenkombination optimal ist, um den gewünschten Wär- meeintrag in die Bohne bei geringstem Energieverbrauch zu erreichen. Und das Optimierungspotenzial insgesamt groß, denn perspektivisch stehen immer mehr Maschinen- und Prozessdaten zur Verfügung, die sich in mathematischen Modellen abbilden lassen.“ ist 16 Wie mathematische Modelle die Zukunft des Röstens prägen